Form, Farbe, Licht und ein sinnlich direktes Verhältnis zum Alltag
Cyril Massimellis Atelier in der Louisenstraße strahlt eine freundliche Atmosphäre aus.
Es ist Wohnraum und gleichzeitig Werkstatt des Malers. Alles ist wohlgeordnet, übersichtlich und fügt sich zu einem schönen Ensemble: die Staffelei, das Korbsofa, die dekorativen fremdartigen Tücher an den Wänden, das Regal mit den Kunstbänden... Massimelli liebt dieses Viertel aus der Gründerzeit, er mag die Lebendigkeit der Dresdner Neustadt und bezeichnet sie als ein schönes Dorf. Dabei hat er offensichtlich Paris als Vergleichsgröße vor
Augen. An den freien Wandflächen hängen Ölgemälde - figürliche Arbeiten aus dem
vergangenen Jahr. Die meisten sind Darstellungen von Franziska, seinem Modell.
Die menschliche Figur ist momentan das Hauptthema im Schaffen des jungen Künstlers.
Nach einem flüchtigen Blick auf die Bilder könnte man meinen, die Moderne mit ihren nonfigurativen und formreduzierten Konzepten habe dieser Maler nicht zur Kenntnis genommen. Jedoch hat er die Malerei des 20. Jahrhunderts aufmerksam registriert und verfolgt ebenso interessiert zeitgenössische Ausstellungen. Massimelli hat ein Gespür dafür, wann Kunst seelenlos wird und ins befremdlich Beziehungslose abgleitet. Das künstlerische Konzept dieses jungen Malers orientiert sich an Traditionen, die sich dem Realismus
verpflichtet fühlen. "Die gegenständliche Malerei hat sich längst nicht erschöpft.
Im Gegenteil, sie hat wieder an Bedeutung gewonnen", sagt er, " ...übrigens hat das Kino
das Buch ja auch nicht erledigt. Vor einhundert Jahren notierte sich Cézanne in Aix-en-Provence: "Lesen wir doch die Natur; realisieren wir doch unsere Sinneseindrücke in einer ebenso persönlichen wie zugleich traditionellen Ästhetik. Der Stärkste wird derjenige sein, der am tiefsten geblickt hat und der dabei voll und ganz realisiert, so wie die großen Venezianer."
Massimelli knüpft mit seiner Malweise zwar nicht direkt an diesen Lehrmeister der
Moderne an, jedoch in seinem Bestreben, Bildgestaltungen im Kontakt mit der Natur, mit den landschaftlichen und figürlichen Naturphänomenen zu entwickeln. Er versteht sich vorbehaltlos als zeitgenössischer Künstler, will als Maler die eigene Ergriffenheit von der Erscheinung des lebendigen Seins an einem überschaubaren Wirklichkeitsausschnitt dem Betrachter mitteilen.
Vermutlich treffen seine Bilder unter anderem auch Seherwartungen und -bedürfnisse
einer Generation, deren Bilderwelten durch Fernsehen und neue Medien geprägt sind.
Immerhin hinterlassen täglich 200 Minuten durchschnittlicher Fernsehkonsum in
unserer Zeit Spuren. Bildliche Lesegewohnheiten prägen Ansprüche an Lesbarkeiten
für ein breites Publikum. Einem fernsehgewöhnten Betrachter kommen realistische
Bilder in konkreten Räumen, mit vertrauten Perspektiven, naturnahen Formen und
Farben sehr entgegen. Außerdem wird in unserer modernen Massengesellschaft ein
zunehmendes Interesse deutlich, ganz Privates zur Schau zu stellen, in dem sich jeder
wiederfinden kann. Diesem Bedürfnis entsprechen emotionsgeladene Bilder von
eindeutiger Lesart. Zu Massimellis Formulierungen findet auch der ungeübte Betrachter
Zugang. Ob dieser sich auf einen tiefer gehenden Dialog einlassen möchte, sei
dahingestellt. Dem Maler ist daran gelegen, dass sich jeder - unabhängig von ästhetischer
Vorbildung - mit seinen Arbeiten identifizieren kann. Und damit berührt er einen Nerv
unserer Zeit. Die Motive findet der Künstler in seinem Alltag. Mitunter sind sie auch
Arrangements - jedenfalls die figürlichen Darstellungen. Sie spiegeln eine ganz persönliche,
ungekünstelte, schöne Welt. Der private Charakter wird durch die kleinen Bildformate
unterstrichen. Die Werke entstehen unmittelbar nach dem Naturvorbild. Die Quelle für
Massimellis Bildschöpfungen ist das direkte Gegenüber. Nahezu authentisch findet der
Betrachter die Atelierwelt des Malers in dessen Bildern wieder: das goldgelbe Sofa, den
kleinen blauen Teppich mit den rosa Ornamenten, ein gemustertes indisches Tuch mit
grünem Grund... Selten ist ein Gegenstand erfunden, jedoch immer bewusst ausgewählt.
Der Maler zeichnet viel. Zeichnen bedeutet ihm, die vielfältigen Eindrücke der Wirklichkeit
zu ordnen. Ein Skizzenbuch hat er stets dabei. Die zeichnerischen Notizen überraschen
durch Klarheit. Manchmal findet der Maler bereits beim Zeichnen die komplette Bildidee.
Ob er eine Szene im Café beobachtet, ein Landschaftsmotiv gleich im Freien auf die
Leinwand überträgt oder das Modell ihm im Atelier eine Pose anbietet, er hat den Blick
für den optimalen Bildausschnitt. So auffallend der fototypische Charakter seiner Bilder
ist, vom Fotorealismus der 60er Jahre, der nach Fotovorlagen arbeitete, ist Massimellis
Konzept weit entfernt. Nach klassischem Muster entwickelt Massimelli seine
Bildgestaltungen zeichnend und malend. Die Skizze ist Vorarbeit, allerdings wird sie nicht
eins zu eins übertragen. Der Malvorgang ist ein neuer und anderer Prozess. Seine
kunstgeschichtlichen Vorbilder sieht der Künstler vor allem im 16. Jahrhundert:
die Venezianische Malerei der Spätrenaissance sowie die Manieristen Tintoretto und
Veronese. Er schätzt daneben Edouard Manet, Paul Cézanne, Henri Matisse, Pablo Picasso,
Giorgio Morandi und Balthus. Der Altmeister Paolo Veronese fasziniert ihn besonders.
Von der "Hochzeit zu Cana", deren erste Fassung in der Gemäldegalerie Dresden zu sehen
ist, hat sich Massimelli eine kleine Kopie angefertigt. Sie hängt in seinem Atelier gegenüber
der Staffelei. Immer wieder beeindrucken ihn die Noblesse sowie Lebensnähe und -lust,
die diesem Gemälde innewohnt, gepaart mit der kompositorischen Gestaltungskraft,
mittels derer Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren und Gruppen erzählt werden.
Massimelli kann sich vorstellen, später Gruppendarstellungen zu malen. Gegenwärtig sind
diese lediglich hin und wieder in seinen Skizzenbüchern zu finden: Die klassische, seit der
Renaissance vertraute Raumdarstellung, die den natürlichen Sehgewohnheiten
entgegenkommt und eindeutige Bildhierarchien schafft, ist für ihn noch immer ein gültiges
Gestaltungsmittel. Massimelli will das visuelle Erlebnis und seine Empfindung mit einer
klaren Malerei verknüpfen. Seine Gemälde wirken sehr realitätsnah, sind jedoch nicht
plattes Abbild. Der Maler stilisiert, typisiert und versinnbildlicht. Von besonderer Bedeutung
ist für ihn beim Malen das Licht. Es zieht zusammen und vereinheitlicht die Einzeleindrücke
der vorgefundenen Realität. Was in Massimellis Bildern wie ein zufälliger
Wirklichkeitsausschnitt aussieht - wodurch deren intimer Charakter noch verstärkt wird
- erweist sich bei näherer Betrachtung als ausgeklügelte Bildkomposition. Jedes Detail hat
seine Funktion im gestalteten Ganzen, selbstdie Ornamentik einzelner Bildgegenstände;
Die in sich ruhenden Bildsituationen belebt er gestalterisch durch vielfältige Bildspannungen,
die letztendlich vom Zauber des Lichts und - vom Körpergestus mitgetragen werden.
In dieser Beziehung knüpft er an die Alten Meister an. Massimelli bevorzugt klare Farben
und strebt ausgewogene Farbklänge an. Der locker leichte und glättende Farbauftrag lässt
die Figuren mitunter wie Puppen erscheinen - fast muten sie stilllebenhaft an, was das
Sinnbildliche betont. Eine schlichte Poesie wohnt den Bildern inne. Sie erinnern entfernt an
künstlerische Haltungen der Neuen Sachlichkeit in den 20er Jahren. Auch romantisierende
Züge schwingen mit. Jedenfalls sprechen sie von einer Sehnsucht nach Ruhe, stiller
Schönheit, zutraulicher Menschlichkeit und Naturnähe. Bei dem Bildhauer Charles Auffret
(1929-2001) hat der Maler in Paris eine klassische akademische Ausbildung absolviert.
Seinen Lehrer schildert er als eine starke Persönlichkeit. Tief hat sich dessen Orientierung
in sein Gedächtnis eingegraben, als Künstler mit Auge, Herz, Hand und dann erst mit dem
Kopf zu arbeiten. Auffret gab seinen Studenten die Maxime mit, die Ansichten von Lehrern
und Vorbildern stets kritisch zu hinterfragen. Es ist hervorzuheben, dass das Werk von
Cyril Massimelli noch sehr jung ist. Der Maler ist am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn.
Kürzlich äußerte er gegenüber einem Kunstkritiker: "Vielleicht scheint heute meine Malerei
eine unerwartete Provokation zu sein. Natürlich werde ich meine Recherchen fortsetzen,
aber ich mag lieber Entwicklungen als Brüche." Während er in Vorbereitung dieser
Ausstellung im Atelier jüngere Landschaftsdarstellungen beiseite stellt, sagt er: "Vielleicht
muss ich noch freier werden...". Es ist abzuwarten, wie er sein Gestaltungskonzept in den
nächsten Jahren modifizieren wird. Die Voraussetzungen sind für ihn günstig: Er hat Talent
und erhielt eine solide Ausbildung. Und er machte sich von Anfang an zueigen, was eine
künstlerische Profilierung befördert: Kontinuität im Ringen um eine wohlgeordnete Form
und um komprimierte Inhalte privater und doch allgemein nachvollziehbarer Themen.
Es ist ihm eine erfüllende wie anerkannte Bilderproduktion zu wünschen, die ihn auf lange
Zeit selbst in Spannung hält.
Dr.phil. Maria-Ilona Schellenberg Kunstwissenschafterin und Kunstpublizistin